Sezession aus völkerrechtlicher Sicht
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Infografik Nr. 609006
Das Bestreben einer Volksgruppe, sich von dem Staat, in dem sie lebt, abzuspalten – entweder um einen eigenen Staat zu gründen oder um sich einem anderen Staat anzuschließen –, stellt ...
Das Bestreben einer Volksgruppe, sich von dem Staat, in dem sie lebt, abzuspalten – entweder um einen eigenen Staat zu gründen oder um sich einem anderen Staat anzuschließen –, stellt das Völkerrecht vor ein Dilemma. Denn ein Recht auf Sezession bringt zwei grundlegende völkerrechtliche Normen in Widerstreit: Auf der einen Seite steht die • staatliche Souveränität und dabei insbesondere die Unverletzlichkeit des Staatsgebiets. Vertraglich fixiert wurde das Souveränitätsprinzip erstmals 1648 im Westfälischen Frieden, und bis heute gehört es (in Verbindung mit dem Gewaltverbot) zu den Grundnormen des Völkerrechts. Sein wichtigster Zweck ist die Friedenssicherung. Daher verbietet die UN-Charta in Artikel 2 „jede gegen die territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit eines Staates“ gerichtete Aggression. Auf der anderen Seite steht das • Selbstbestimmungsrecht der Völker. Ideengeschichtlich stammt es aus der Zeit des aufkommenden Nationalismus im 19. Jahrhundert. In den Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg wurde es erstmals angewandt, und im modernen Völkerrecht ist es als Grundprinzip in der UN-Charta fixiert (Artikel 1 und 55). Die UN-Menschenrechtspakte (1966) erläutern, dass die Völker kraft des Selbstbestimmungsrechts „frei über ihren politischen Status“ bestimmen und „in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung“ gestalten. Die Friendly Relations Declaration der UN-Generalversammlung (1970) führt darüber hinaus auf, wozu das Selbstbestimmungsrecht die Völker berechtigt: „Errichtung eines souveränen und unabhängigen Staates“, „freie Verbindung oder Verschmelzung mit einem unabhängigen Staat“ oder ein „anderer, vom Volk frei bestimmter politischer Status“. Hier folgt also aus dem Selbstbestimmungsrecht das Recht auf Sezession. Gleichzeitig, so die Friendly Relations Declaration weiter, soll das Recht auf Selbstbestimmung aber nicht dazu führen, dass das Souveränitätsprinzip verletzt und die territoriale Integrität von Staaten angetastet wird.
Wie also lassen sich die beiden Prinzipien zum Ausgleich bringen? Die Friendly Relations Declaration räumt dem Souveränitätsprinzip Vorrang ein vor einem generellen Recht auf Sezession: Wenn ein Staat sich an den Grundsatz der Selbstbestimmung der Völker hält und die Regierung alle Volksgruppen auf dem Staatsgebiet vertritt, gibt es kein Recht auf Abspaltung. Dieses gilt nur für den Ausnahmefall – wenn ein Staat das Selbstbestimmungsrecht missachtet, indem er etwa die Ausübung einer bestimmten Kultur verbietet, eine Volksgruppe systematisch benachteiligt oder gar gewaltsam gegen eine ethnische Minderheit vorgeht. Im Regelfall aber ist die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts auch innerhalb von Staaten möglich, zum Beispiel durch ein bundesstaatliches System oder die Gewährung von Autonomie.
Ausgabe: | 11/2017 |
Produktformat: | Komplette Online-Ausgabe als PDF-Datei. |
Reihe: | 53 |
Reihentitel: | Zahlenbilder |